Barawoja-See
Diplom Praxis
Prof. Gunter Reski
»Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das nach sich und nach seiner Stellung in der Welt fragt und wird dazu aufgefordert, Antworten in der Heim- und Fremdwelt zu finden.1 Meine russlanddeutschen Vorfahren waren einer Suchbewegung ausgesetzt, sie durchliefen ununterbrochen den Zyklus der geschichtsbedingten Migration. Ihre Erlebnisse erzeugten einen brüchigen Heimatbegriff, der beispielhaft für die Erfahrungen von Millionen von Menschen stehen kann, die ausgewandert, geflohen, ausgehungert sind, deportiert oder vertrieben wurden. Durch ein Holzbild fand ich den Zugang zur Befragung meiner Stellung in der Welt. Die Intarsie zeigt die zurückgelassene Heimat meiner Eltern und Verwandten: Auf ihr ist ein See inmitten einer Berglandschaft abgebildet, die vollkommen menschenleer ist. Beim Anschauen treiben mich die Fragen um, ob und wie sich Heimat darstellen lässt? Haben meine Familie und ich eine gemeinsame Heimat? Ist Heimat ein Bild, das man sich aufhängen kann? Und wenn man zurückgehen würde und den Ort wieder real wieder erleben würde, würde man sich dann fremd fühlen an dem Ort, an dem man eigentlich am ehesten seine Heimat vermutet? Inwiefern ist Imagination der Heimat, die tatsächliche Heimat? Die Holzbilder stellen einen Platzhalter für diese Fragestellungen dar, sie dienen der Repräsentation von Heimatgefühlen und assoziieren Antwortmöglichkeiten.
1 Karen Joisten: »Philosophie der Heimat – Heimat der Philosophie«, Akademie Verlag Berlin 2003, S.37.
Diplom Theorie
Prof. Dr. Marc Ries
Bettina Hamm hat eine außergewöhnliche Studie verfasst, die weit in die Geschichte ihrer russendeutschen Familie nach Kasachstan zurückreicht und am Medium eines Holzbildes, einer Intarsie des Barawoja-Sees, die überall in Migrationshaushalten hängt, die Frage nach Heimat in der Verstrickung der Einzelschicksale mit der kommunistischen Hegemonie in überaus klugen und dichten Reflexionen und mit kongenialen Schriftbildern zu beantworten versucht. Mit dem Bildmotiv wird ein Mythos konstruiert, der die Unterdrückung der Russendeutschen und ihre traumatische Fluchtgeschichte aufhebt, ein Sehnsuchtsort, der Heimat als Imaginäres einer Vergangenheit entwirft. In einem 100-seitigen Parcours wird diese Konfiguration in unterschiedlichen Kontextualisierungen – in die Familie, in das sowjetische System hinein – und mit Gesprächen mit Zeitzeug_innen aufgeklärt. Die souveräne stilistische Handhabe, die Arbeit an Begriffen, die Verwendung exzellenter Literatur und die einfühlsamen Befragungen ermöglichen eine Textproduktion, der in ungewöhnlicher Weise gelingt, die biografische Betroffenheit mit den zeitgeschichtlichen Analysen und den Heimat-Diskursen zu verbinden. (Text: Marc Ries)